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Es beginnt alles mit einer Berührung: Unser Bindungsverhalten gespeichert in unserem Körper

von Hanna Waegner





Beginnen wir bei der Geburt eines neuen Menschleins. Die gesamte Schwangerschaft schwamm er wohl behütet in einem Meer aus Meerwasser & im Idealfall der liebevollen mütterlichen Erwartung. Wir wissen noch wenig über diese vorgeburtliche Zeit, aber klar ist, dass wir und unser Nervensystem bereits hier unsere Prägungen beginnen. Die Stimme der Mutter, Musik, Nahrungsmittelpräferenzen haben bereits Einfluss.


Nach der Geburt erlebt ein Baby die Welt mit seinem größte Kontaktorgan: der Haut. Menschenkinder sind Traglinge, sie wollen Hautkontakt, 24/7 am liebsten, schlafen am besten mit dem Herzschlag der Bezugspersonen ein. Werden sie gestillt, so dient die Brust nicht nur als Nahrungsquelle, sondern die Körpernähe und Wärme sorgen für Geborgenheit, Sicherheit und Co-Regulierung, wobei das Kind sich über den Erwachsenen reguliert und beruhigt.

Dies alles dient nicht nur dem Überleben und Wohlsein des Kindes, sondern es passiert noch viel mehr. Im Säuglingsalter ist das Gehirn noch unreif und wir in den ersten Lebensjahren geprägt. Wir wissen, dass die Verschaltungen (Synapsen) im Gehirn bei jeder kleinsten Berührung bilden. Natürlich gehören auch Stimmklang, Sprache, andere Umwelteinflüsse, wie auch „Schwingungen im Raum“ (z.B Unruhe, Stress) dazu.

Aber das entwicklungs-stärkste Kontaktorgan ist zu Beginn der Körperkontakt. Während die Augen noch wenig Informationen aufnehmen, ist die Haut der Sensor, mit dem die Welt aufgenommen wird.



„Die Berührung ist das Fundament jeder Beziehung, der Beziehung zu anderen und zu sich selbst.“ Emmi Pikler


Mütter lernen von den Hebammen, wie sie am nesten ein Baby drehen, nämlich bestenfalls so, wie nachher die Bewegungsabläufe stattfinden (Knie anwinkeln, über die Seite drehen und langsam aufnehmen). Diese Art von passiver Physiotherapie wird auch angewendet, wenn ein Mensch bewegungsunfähig ist oder im Koma liegt. Man mobilisiert den Körper und bewegt ihn. Dabei Kann das Gehirn nicht unterscheiden, ob diese Bewegungen aktiv oder passiv geschehen. Die Synapsen bilden sich trotzdem.


Man könnte also salopp in den Raum stellen, dass Kinder, die im Säuglingsalter viel liebevolle Zuwendung und körperlich stimuliert werden mit z.B. Bewegungsliedern, mehr Verschaltungen im Gehirn bilden können, als Kinder, die viel mehr abgelegt werden. (Was nicht bedeutet dass du dein Kind niemals ablegen darfst!)


Wenn ein Baby lernt, dass es gesehen wird, geborgen ist und seinen Körper über die Berührung von anderen spüren darf, dann kann es sich gut entwickeln und baut gesunde erste Bindungen auf.


Hierzu gehört übrigens auch, dass die Grenzen nicht überschritten werden, und die Stimulation weiter geht, nachdem auch schon der Blick abgewendet wurde oder das Baby Anzeichen zeigt, dass es unzufrieden in der Situation ist.

Darf ein Kleinkind in einem sicheren Umfeld ungehindert ausprobieren, darf erste Einschränkungen erleben, was körperlich nicht erlaubt oder möglich ist, lernt besser mit Frustration umzugehen, den Neugier und Tatendrang unbedingt übersteigen. Bindungspersonen sind in der Nähe und präsent (in diesem Alter ist auch sehr wichtig, das Handy wirklich oft beiseite zu legen, denn dann ist der Kontakt für das Kind abgerissen).


Letztendlich geht es so weiter in Feinabstimmung mit Kontakt und Autonomie. Wenn es gut lief, ist der junge Erwachsene in der Lage gesunde Beziehungen einzugehen, Freundschaften zu schließen, sexuelle Erfahrungen zu machen und kann sich seiner Bedürfnisse gewahr sein, diese kommunizieren und gesunde Grenzen/ Abgrenzungen zu anderen spüren.


Sollte dies nicht der so gelungen sein, dann ist dies kein Grund zur Bitterkeit, denn diese Prozesse kann man auch als Erwachsener lernen. Hierzu bedarf es zwar einiges an Arbeit und Zeit, aber grundsätzlich in eine suboptimale Kindheit (und wir haben alle unsere kleineren oder größeren Traumata) nachzureifen. Auch hier würde ich dringend empfehlen, den Körper als Werkzeug zu nutzen. In Körper und Nervensystem sind quasi alle kleinen und größeren Erlebnisse im „abgespeichert“ und es gibt viele Methoden, diese in die Auflösung zu bringen.


"When you touch one thing with deep awareness,

you touch everything.”


(Wenn du Eines mit tiefer Achtsamkeit berührst, berührst du alles)

Tich Nah Than



Menschliche Berührung, und insbesondere meine ich hier die nicht-sexuelle, liebevolle Berührung, ist ein ABSOLUTES Grundbedürfnis – egal in welchem Alter – sich angenommen zu fühlen, zu spüren, dass jemand da ist und nicht bewertet, das ist ein Geschenk, dass viele Menschen viel zu selten erleben. Ein Mangel an Körperkontakt macht sich nicht nur im Gehirn, sondern auch auf der psychischen Ebene bemerkbar.


Um mehr Sinn und Lebensfreude in unser Leben zu bringen, ist es sicherlich eine gute Idee, sich bewusst zu werden, unter welchen Umständen man aufgewachsen ist, und unter welchen Umständen man heute, jetzt lebt. Wie sieht der Kontakt zu den Liebsten aus? Gibt es ausreichend Augen- und Körperkontakt, wie lange ist eine Umarmung? Habe ich mir die Zeit genommen, meinem Kind beim Lesen den Arm um die Schulter zu legen? Habe ich das Bedürfnis, mir unbedingt mal wieder eine Massage gönne?


Dauert eine Umarmung länger als 5 Sekunden, passiert Spannendes. In Studien konnte belegt werden.:

Eine längere Umarmung veranlasst den Körper, das Kuschelhormon Oxytocin auszuschütten, dazu Glückshormone, das zentrale Nervensystem beruhigt sich, Stress wird abgebaut. Unser Körper, wenn er sich in der Berührung wohl fühlt, harmonisiert sich. Er atmet tiefer, die Muskulatur entspannt, Blutdruck sinkt, wir empfinden weniger Angst.


Heilungsprozesse werden beschleunigt. Sich freundlichen und bewertungsfrei zu berühren ist heilsam. Nicht ohne Grund ist also das Handauflegen eine der ältesten, uns bekannten Heiltechniken. Wir machen es bei unseren Kindern immerhin ganz intuitiv.

Und das Beste: Es kostet NICHTS. Und es stärkt die Bindung zwischen zwei Menschen.




Echter Kontakt entsteht nicht nur über den Körper, sondern insbesondere durch unsere Präsenz in diesem Moment.

"Als ein Vater seinen zwölfjährigen Sohn fragte, was er sich zum Geburtstag wünsche, antwortete dieser: «Papa, ich möchte dich!» Sein Vater arbeitete die ganze Zeit und war selten zu Hause. Sein Sohn war eine Glocke der Achtsamkeit, die ihn daran erinnerte, dass das kostbarste Geschenk, das wir unseren Liebsten machen können, unsere wirkliche Gegenwart ist. "

Thich Nhat Hanh


Wir dürfen nicht vergessen, dass wir Kontaktwesen sind, um IN.BEZIEHUNG.ZU.SEIN.


Sei von Herzen umarmt!


 
 
 

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​© 2020  Hanna Waegner

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